Wulf W. Jurda

Freier Grafiker, Zeichner, Lithograf

1948 geboren in Sontheim Heilbronn
1969-70 Studium Freie Kunstschule Stuttgart
1970-75 Staatliche Akademie der bildenden Künste, Stuttgart
1971-74 Lithographie-Studium bei Erich Mönch und James Koga A.d.b.K Stuttgart
ab 1975 freischaffend
ab 1976 Mitglied im Verband bild. Künstler Württ. e.V
  Atelier und Lithographie-Werkstatt in Untertürkheim
ab 1986 Lehrtätigkeiten
1975-78   Lehrbeauftragter für Lithographie und Radierung an der Freien Kunstschule Stuttgart
1977-79 Dozentfür Lithographie an der Europäischen Sommerakademie Trier
1982-85 Referentfür freie Graphik und Radierung - Weiterbildungskurs, Daimler-Benz AG
1983-85 Werkstattleiter für Lithographie und Radierung Künstlerhaus Stuttgart
ab 1991 Dozent an der Akademie des Kunsthandwerks Schwäbisch Gmünd für Freihand- und Naturzeichnen
ab 1972 eigene Ausstellungen und Ausstellungs-Beteiligungen
  - private und öffentliche Ankäufe u.a. Regierungspräsidium Nord-Württemberg
  - Kulturvereinigung Simrishamn Schweden
  - Werksleitung Daimler-Benz AG

 

 

Tryptichon "Dresden", Bleistift auf Bütten, 243 x 68 cm
Detailansicht aus Tryptichon "Dresden"

 

Günther Wirth
Der Zeichner Wulf Waldemar Jurda

In der Mitte des Ateliers von W. W. Jurda steht eine urtümlich anmutende Lithopresse, sie ist das Lieblingskind des Künstlers und hat eine legendäre Geschichte. Es handelt sich nämlich um die Maschine von Erich Mönch, dem einstigen druckgraphischen Lehrer an der Stuttgarter Akademie. Und indem ich diese Handdruckpresse betrachtete, die nach dem Tode von Mönch in einer Hemdenfabrik gelandet war, wo sie Jurda wiederfand und in sein Atelier holte, dachte ich, daß auf dieser Presse Erich Mönch, und der vor einigen Jahren verstorbene Wilhelm Fischer, der selbst sehr schöne Farblithographien geschaffen hat, nicht wenige Blätter für Willi Baumeister in den frühen 50er Jahren druckte.
Über die Betrachtung der Presse kam es zwischen Jurda und mir zu einem schönen und langen Gespräch über die Geheimnisse des Lithosteins, die W. W. Jurda während seiner Akademiezeit studiert hat, und zwar mit der Neugier, dem Ernst und der Genauigkeit, die zu diesem Künstler gehören. Der Lithostein beherrscht seinen bisherigen künstlerischen Werdegang weithin ; denn die Lithographie dominiert im Werk. Dabei setzt der junge Künstler dem gängig gewordenen Maschinendruck den Handdruck entgegen. In der Regel gewinnt er der Steindruckhandpresse höchstens 20 Blätter ab, jeweils also eine sehr kleine Auflage, die das Einzelblatt kostbar macht.

Wir sprachen über das Schleifen der Steine, welche Glätte oder Feinkörnigkeit sich mit der Hand verschleifen läßt, daß man, wenn man einen Stein fünf- bis sechsmal schleift, vielleicht einen ganzen Tag braucht, dabei Schwerarbeit leisten muß. Jurda erzählte vom Einsatz seiner Lithokreide, der Tusche und den Polychromoss tiften , wobei mit letzteren die feinsten Strichlagen möglich sind. Begriffe wie Gummierung und Ätzung tauchten auf, Arbeitsbegriffe, durch welche die Trennung zwischen druckenden und nichtdruckenden Teilen bewirkt wird. Alles Werkstattprobleme, die aber angesichts des Werkes wichtig sind. Der Umgang mit den Entwürfen, deren spiegelverkehrte Aufspannung, wenn der Druck seitenrichtig sein muß, die Problematik der Konturpause und der direkten Niederschrift mittels Tusche auf den Stein, der nicht trocken werden darf, weil er sonst schwarz wird.

Eben das mag unseren Blick schärfen für die künstlerischen Ergebnisse, für die druckgraphische Qualität, die bei näherer Betrachtung der Blätter offenkundig wird. Sie nimmt sofort für den jungen Künstler ein, noch bevor uns die bildnerischen Inhalte bewußt werden. Was die Inhalte betrifft, so treten wir, die Lithographien und die großen Zeichnungen vor Augen, ein in die dramatischen Historien menschlicher Existenz, in die Welt des dichterischen Wortes, die vom Menschen in der Vergangenheit und der Gegenwart kündet. Die Griechen nahmen ja an , und von diesen Griechen ist in diesen Blättern mehrfach die Rede, daß Kunst von Künden kommt, und wo Kunst nur von Können kommt und vom Künden nichts weiß und nicht bis zu ihm vordringt, da ist sie auch nichts wert. Ich habe den Eindruck, daß W. W. Jurda das sehr gut weiß, wenn er, wie es ganz deutlich wird, den Menschen in den Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens stellt. Deshalb gilt ihm die wortwörtliche Illustration wenig, die Transformierung des dichterischen Textes in die Möglichkeiten des Jetzt, andersgesagt, in die Erfahrungswelt des Gegenwärtigen alles.

Die Liebeserklärung an den Menschen, die ich aus manchen seiner Blätter herauslese, entbehrt der Leichtigkeit, der Glätte, denn sie ist eng verknüpft mit der Erfahrung vom geworfenen, vom leidensfähigen und in das Leiden verstrickten Menschen, von dem, was man menschliches Schicksal nennt. Beweiskräftig wird diese meine Behauptung einmal durch die Schriftsteller, mit denen sich W. W . Jurda beschäftigt und die ihn bildnerisch anregen, wie Aischylos, J. P . Sartre, Albert Camus oder Ezra Pound, den man ja nach dem Zweiten Weltkrieg den Italienern in einem Käfig vorführte, zum anderen dadurch, daß er die menschliche Figur vom erkennbaren Gesicht wegfuhrt. Es kann jeder sein. Jurda zwingt sich zur Kontrolle und äußerster Konzentration, wenn es darum geht, Bedürfnisvorstellung und Zielvorstellung zur Deckungsgleichheit zu bringen. Oft liegen für ein Thema, das lithographiert werden soll, mehrere Skizzen vor.
Die Wahl des zeichnerischen Vorwurfs wird zum Teil der künstlerischen Aktion. Jurda sagt in diesem Zusammenhang: "Das Kurzlebige oder Aktuelle interessiert mich nicht. " Hier ist der Begriff des Aktuellen wenigstens in einem Satz von mir zu klären: Unter Aktueller Kunst versteht man die Herstellung von Werken, die einen experimentellen Anstrich haben, auf der anderen Seite aber dem Marktgeflüster genüge tun.

In der Tat findet sich in der Arbeit Jurdas nichts davon. Dieser Künstler will nicht die Neuheit um jeden Preis, also behaftet mit dem spekulativen Akzent, sondern das Eigene, Eigenheit als Kunstprinzip. Der Wille zur Eigenheit als Motivation für Bewußtheit und Erlebnisfähigkeit. Das ist ein volles Programm, daseinen Künstler schon in Atem halten kann.

Nur unter solchen Gesichtspunkten kann man z. B. einen Ast erlebend sehen und ihn zeichnend umsetzen in splitterndes Holz, im Wissen um das Trügerische jeder glatten Oberfläche. Nur so kann für einen figurativen Künstler die Frage auftauchen, was denn der Mensch innerlich sei. Nur so können Bloßlegungen und Überdehnungen keinem falschen Störungsdenken im Formalen entspringen, wird Farbe nur dort eingesetzt, wo sie lebt und das Lineare in Figur und Landschaft unterstützt. Nur so kann das Dramatische auch im Dinglichen gestaltet werden, kann sich Holz in Knochenartiges verwandeln.

Der Mensch im Raum, das alte Thema Schlemmers, wird von Jurda in eine dem Absurden angenäherte Konstellation überführt - in Vereinsamung und Eingeschlossensein. Im Verlauf der letzten Jahre werden die Formen freier, der Umgang mit der Fläche, der Linie, den wunderschönen Schraffuren, den Punkten wird lockerer, gelöster. Der Punkt als Klecks wird genauso wichtig wie die Linie, weil er bildtopographisch markiert, weiterführt oder stoppt. Seine Setzung ist deshalb nicht zufällig, wenn es auch ein bißchen nach Tachismus aussieht, sondern bildfunktional Neben dem erfahrenen Lithographen, der bei der Überprüfung eines Blattes sagen kann: “Der Stein lief so schön, von den Feinheiten ist nichts zugegangen,” steht der sensible Zeichner, der mit Polychromos, Rötelkreide, Kohle und Bleistift arbeitet und der, wenn er sich zur Mischtechnik entschließt, die Aquarellfarbe behutsam, ganz behutsam in sehr nuancierten Wertigkeiten einsetzt, fast monochrom, und die Schrift in die Arbeit integriert, fast in einer zärtlichen Weise. Es ist ein weiter Weg des Künstlers von den kleinformatigen, farbigen Landschaften von 1974, an Fernöstliches erinnernd in ihrer Atmosphäre, bis zu den großen Triptychen. Ein verschlungener Weg an den Positionen der Schriftsteller vorbei und dort zeitweise verharrend bis ins Eigene. Damit ist Wulf Waldemar Jurda auf einem guten Weg, der mit Aufmerksamkeit auch in Zukunft zu verfolgen sein wird.